July 18, 2024

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Geheimnisse hat jeder, und meist aus gutem Grund.

Als Notare wissen wir Dinge, von denen Sie nicht erfahren sollen. Die Motivlage ist so vielfältig wie das Leben:

  • der Käufer eines Mietshauses möchte keine Transparente an der Fassade, keine Mieterdemos, keine Zeitungsberichte mit Fotos davon oder Politikern, die öffentlich versprechen, das Vorkaufsrecht zu prüfen,
  • die geplante Firmenübernahme soll nicht an die Konkurrenz durchsickern, der Kaufpreis nicht überboten werden, einzelne Gesellschafter oder die Belegschaft noch nichts erfahren, bis unterschrieben ist,
  • der Prominente möchte nicht, daß alle wissen, daß und wo er sich eine Eigentumswohnung gekauft hat,
  • der Schenker möchte nicht, daß bekannt wird, daß es eine 25 Jahre jüngere Beschenkte gibt,
  • die Oma möchte nicht, daß Kinder oder Enkel erfahren, daß sie ein Testament errichtet.


Es ist eine Mischung aus geschäftlichen, privaten, manchmal öffentlichen Interessen. Deals können platzen oder die Konditionen sich verändern, wenn zu früh davon etwas nach außen dringt. Persönliche Wünsche oder Pläne können gestört oder zerstört werden. Karrieren können davon abhängen, unternehmensintern wie extern. Von dem Zeitpunkt und der Art und Weise der Informationskommunikation kann abhängen, ob Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, Kunden Verträge kündigen, Kreditlinien ausgeweitet oder reduziert werden, Aktienkurse steigen oder fallen. Das oberste Prinzip im Notariat muß daher sein zu gewährleisten, daß der Auftraggeber seine Kommunikationspolitik über das, was bei uns stattfindet, vollständig in seiner Hand behält.

Vertraulichkeit erfordert persönliche und organisatorische Maßnahmen.

Jeder Mensch hat ein gewisses Geltungsbedürfnis. Aus der Wichtigkeit der Personen oder Geschäfte, mit denen man zu tun hat, leitet man einen Teil der eigenen Wichtigkeit ab. Das dadurch gewonnene Selbstbild kollidiert mit dem, was andere von einem denken, es sei denn man erzählt ihnen davon. Daraus resultiert ein entsprechendes Bedürfnis.

Als Notare müssen wir das reflektieren und unser Selbst- und Fremdbild aus anderen Quellen nähren. Sollte jemals Elon Musk zu mir zu einer Beurkundung kommen, wird meine Frau davon allenfalls aus der Presse, aber nicht von mir erfahren, so gern ich ihr davon auch erzählen würde. Ich werde ihr nicht einmal mitteilen, daß an dem Tag etwas besonderes im Büro war. In den ersten Jahren unserer Beziehung fand sie das befremdlich. Zum Beispiel gehen Familienangehörige immer wieder wie selbstverständlich davon aus, daß die ganze Familie informiert ist, wenn ich etwas beruflich für sie erledige. Auf Feiern reden sie darüber, als wüßte jeder Bescheid, selbst wenn ich ihnen erklärt habe, daß ich verschwiegen bin. Die Leute gehen von sich selbst aus und wissen, wie schwierig es ist, etwas interessantes für sich zu behalten. Als Notare haben wir das jahrelang jeden Tag trainiert und sind es gewohnt.

Das gilt auch auf einer abstrahierten Ebene. Wenn Ihnen der Notarkollege beim Bier abends stolz erzählt, daß er den 100-Millionen-Deal am KuDamm beurkundet hat, ist es für Brancheninsider vermutlich nicht so schwer herauszufinden, um welches Objekt es geht und wer der Käufer war.

Das führt übrigens zu einem strukturellen Konflikt mit den Akquiseinteressen

von Notaren. Gerade wenn größere Marktteilnehmer versuchen zu beurteilen, was sie von einem halten sollen, fragen sie mitunter nach Referenzen. Für ein Tech-Startup mag es selbstverständlich sein, zu Zwecken der Akquise weiterer Kunden diese darauf hinzuweisen, daß man bereits diesen und jenen großen Marktteilnehmer als Kunden gewinnen konnte oder diese und jene Projekte realisiert hat. Wir als Notare dürfen das nicht. Eine Google-Referenzleiste auf der Webseite oder entsprechende Aussagen in öffentlichen oder persönlichen Gesprächen kommen für uns nicht in Betracht. Und wenn sich ein Notarkollege Ihnen gegenüber anders verhält, sollten Sie vielleicht darüber nachdenken, ob er das nicht auch gegenüber anderen Personen mit dem Kontakt zu Ihnen dann so macht.

Die Thematik mit dem Bedürfnis nach eigener Bedeutung gilt ebenso auf der Ebene unserer Mitarbeiter.

Jeder einzelne wurde von uns persönlich zur Verschwiegenheit verpflichtet und wir erinnern regelmäßig daran - sowohl wenn Mandate Anlaß dazu geben als auch im Alltag. Idealerweise identifizieren sich Mitarbeiter mit der Firma, für die sie arbeiten. Die Wichtigkeit der Vorgänge dort färbt auf den einzelnen Mitarbeiter ab. Innerhalb des Unternehmens bildet die Wichtigkeit der übertragenen Aufgaben eine Hierarchie der Mitarbeiter untereinander, auch wenn das - sofern nicht institutionalisiert - natürlich ungesund ist. Unternehmensinterne Machtkämpfe um die eigene Bedeutung kennt jeder Konzern. Hat man es im Unternehmen schwer, helfen dem eigenen Selbstbild Klatsch und Tratsch nach außen. Solche Tendenzen können freilich in Teams jeder Größenordnung auftreten, auch bei nur zwei oder drei Mitarbeitern bildet sich eine Positionierung. Mit steigender Teamgröße wächst nur die Komplexität. Nicht alles kann man von oben immer steuern, aber die für den Geheimnisschutz wichtige Sensibilisierung für diese Prozesse ist bei uns im Notariat immer dabei.

Der Gedanke an Informationsschutz

muß bei jeder - auch unwichtig erscheinenden - Handlung im Notariat mit gedacht werden. Ein Beispiel: das Telefon klingelt, eine junge Frau ist dran, ihr Opa sei letzte Woche gestorben. Der habe doch bei uns ein Testament gemacht, wie es jetzt weiter gehe. Die richtige Antwort des Mitarbeiters lautet nicht: "Oh, das tut mir leid, das war ein so netter Mann." Statt dessen wäre zu sagen: "Das tut mir leid. Ich weiß nicht, ob wir einen solchen Vorgang haben. Wir sind aber auch der falsche Ansprechpartner. Notarielle Testamente werden beim zentralen Testamentsregister der Bundesnotarkammer vermerkt und die Nachlaßgerichte informieren alle in Betracht kommenden Erben. Sie können sich an das Nachlaßgericht wenden." Ob der Testamentserrichter noch lebt, können wir bei einem Anruf nicht prüfen. Wer der Anrufer ist und ob er eine Auskunft erhalten darf, können wir ebenfalls nicht beurteilen. Bereits der Umstand an sich, ob es einen entsprechenden Vorgang bei uns gibt, wird nicht kommuniziert. Das erfordert Schulung und stetige Übung aller bei uns tätigen Personen, bis es zur Gewohnheit geworden ist.

Mit "jeder" Handlung meine ich tatsächlich genau das. Von außen wundern sich die Leute manchmal, warum alltägliche Dinge im Notariat so langsam stattfinden. Ich darf zunächst versichern, daß sie das nicht tun, ganz im Gegenteil. Manche Dinge müssen wir aber tatsächlich künstlich etwas verlangsamen, einfach um darin besonders sorgfältig zu sein. Das gilt zum Beispiel beim Versenden von emails. Es wäre geradezu ein Desaster, wenn ein Entwurf oder die Abschrift der Urkunde aus Versehen an eine Person übermittelt wird, die es nichts angeht. Im Notariat versendet man nicht schnell mal eine email, sondern langsam, nach doppelter Kontrolle des Empfänger-Verteilers, egal wie sehr die Leute drängeln.

Organisatorisches

Neben den Anforderungen an die im Notariat arbeitenden Personen treffen wir zudem strukturelle organisatorische Entscheidungen, die dem Geheimnisschutz dienen. Wir achten darauf, daß sensible Unterlagen nicht herumliegen. Mit jedem einzelnen Dienstleister - der Putzfirma, dem Systemadministrator, der Softwarefirma, dem Wartungsbetrieb für die Kopierer und so weiter - haben wir Vertraulichkeitsvereinbarungen geschlossen. Wir achten darauf, daß nicht ständig andere Putzleute eingesetzt werden, sondern ein Team, das wir kennen, und daß dieses geschult ist. Nicht mehr benötigte Unterlagen werden nicht in Papierkörbe geworfen, sondern mit hoher Sicherheitsstufe täglich mehrfach geschreddert. Alle Papierakten und Urkunden sind in verschlossenen Schränken. Der Datenverkehr im Büronetzwerk läuft über Kabel, nicht über WLAN, wir arbeiten nicht in einer Cloud, die Datensicherungen auf eigenen externen Servern sind verschlüsselt, alle Rechner sind passwortgeschützt und jeder Mitarbeiter hat ein eigenes Passwort, auf allen Systemen läuft ein stets aktueller Virenschutz. Datensicherheit ist im Notariat kein Zustand, sondern ein stetiger Prozess, dem wir viel Aufmerksamkeit widmen. Das ist ziemlich teuer, aber für unsere Mandanten jeden Cent wert.

Ihr Tobias Scheidacker
Rechtsanwalt und Notar

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