September 20, 2024

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Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15. September 2023 (Az. V ZR 77/22) betrifft zentrale Fragen der Aufklärungspflicht von Verkäufern bei Immobilientransaktionen. Die Anforderungen an die Offenlegung von Informationen und Dokumenten im Verkaufsprozess werden damit deutlich klarer. In diesem Blogartikel erläutere ich die Kernaussagen des Urteils und zeige auf, was Immobilienverkäufer daraus lernen können, um rechtliche Risiken zu minimieren.

Ausgangssituation des Falls

Im verhandelten Fall ging es um den Verkauf mehrerer Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex. Die Verkäuferin hatte im Rahmen des Kaufvertrages verschiedene Erklärungen abgegeben, unter anderem zu bereits gefassten Eigentümerbeschlüssen und dem Zustand der Immobilie. Sie hatte auch einen Datenraum eingerichtet, der dem Käufer Zugang zu den relevanten Dokumenten gewährte. Diese Dokumente umfassten Protokolle von Eigentümerversammlungen, die relevante Informationen über die finanzielle Belastung durch mögliche Sonderumlagen enthielten.

Der entscheidende Punkt des Falls war die Frage, ob die Verkäuferin ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen war, indem sie bestimmte Dokumente in den Datenraum eingestellt hatte, und zwar am Freitag vor der auf den folgenden Montag anberaumten notariellen Beurkundung. Konkret ging es um die Information, dass Sanierungsmaßnahmen in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro geplant waren, für die möglicherweise eine Sonderumlage auf die Eigentümer, einschließlich der Käuferin, erhoben werden würde.

grundlegende Aussage: der Verkäufers ist bei wichtigen Umständen auch ungefragt zur Aufklärung verpflichtet

Der BGH bekräftigte seine bisherige Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht des Verkäufers bei Immobiliengeschäften. Grundsätzlich ist der Verkäufer verpflichtet, den Käufer ungefragt über Umstände aufzuklären, die für dessen Kaufentscheidung wesentlich sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Umstände geeignet sind, dem Käufer erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.

Aufklärung durch Einstellen von Dokumenten in einen Datenraum

Das Urteil klärt, dass die bloße Bereitstellung von Informationen in einem Datenraum nicht zwangsläufig bedeutet, dass der Verkäufer seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist. Vielmehr hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob der Verkäufer davon ausgehen konnte, dass der Käufer die relevanten Informationen im Datenraum zur Kenntnis nehmen würde. Dabei kommt es unter anderem darauf an, wie der Datenraum strukturiert ist, wie viel Zeit der Käufer zur Verfügung hat und ob die Dokumente gezielt als besonders wichtig hervorgehoben wurden.

Im vorliegenden Fall entschied der BGH, dass die Verkäuferin ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen war, obwohl sie die relevanten Protokolle der Eigentümerversammlungen in den Datenraum eingestellt hatte. Da die entsprechenden Informationen nur kurz vor dem Notartermin ohne gesonderten Hinweis in den Datenraum eingestellt worden waren, konnte die Verkäuferin nicht erwarten, dass der Käufer diese Informationen noch vor Vertragsabschluss zur Kenntnis nehmen würde.

Konsequenzen für Immobilienverkäufer: Was müssen Sie beachten?

1. Sorgfältige Aufklärung über finanzielle Risiken

Verkäufer sollten sich bewusst sein, dass sie verpflichtet sind, den Käufer über alle Umstände aufzuklären, die für die Kaufentscheidung wesentlich sind. Dies gilt besonders für finanzielle Belastungen wie bevorstehende Sonderumlagen oder größere Sanierungsmaßnahmen. Selbst wenn diese Belastungen noch nicht endgültig beschlossen sind, muss der Verkäufer den Käufer darüber informieren, wenn eine konkrete Gefahr besteht.

2. Datenraum richtig nutzen

Der Einsatz eines Datenraums kann sinnvoll sein, um dem Käufer alle notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Allerdings sollte der Verkäufer sicherstellen, dass der Datenraum übersichtlich strukturiert ist und die wichtigsten Dokumente klar gekennzeichnet sind. Wenn neue, besonders wichtige Dokumente kurz vor dem Notartermin eingestellt werden, sollte der Verkäufer den Käufer gezielt darauf hinweisen.

3. Angemessene Fristen einhalten

Wenn dem Käufer ein Datenraum zur Verfügung gestellt wird, sollte diesem genügend Zeit eingeräumt werden, die Dokumente sorgfältig zu prüfen. Dokumente, die unmittelbar vor dem Notartermin eingestellt werden, sollten klar markiert und dem Käufer explizit zur Kenntnis gebracht werden. Es ist ratsam, im Kaufvertrag Fristen für die Einstellung von Dokumenten festzulegen, um Missverständnisse zu vermeiden.

4. Klare und vollständige Erklärungen im Kaufvertrag

Verkäufer sollten darauf achten, im Kaufvertrag keine missverständlichen oder unvollständigen Erklärungen abzugeben. Insbesondere bei Aussagen zu den finanziellen Verhältnissen der Immobilie oder möglichen künftigen Kosten sollte der Verkäufer genau prüfen, ob die Angaben vollständig und korrekt sind. Unklare oder unvollständige Aussagen können dazu führen, dass der Käufer später Schadensersatzansprüche geltend macht.

5. Berater hinzuziehen

Bei komplexen Immobiliengeschäften ist es ratsam, rechtlichen Rat einzuholen, um sicherzustellen, dass alle Aufklärungspflichten erfüllt sind. Ein erfahrener Notar oder Rechtsanwalt kann dabei helfen, den Kaufvertrag und die Dokumentation so zu gestalten, dass rechtliche Risiken minimiert werden.

Risikominimierung durch sorgfältige Dokumentation

Ein weiteres wichtiges Thema, das in diesem Urteil zur Sprache kommt, ist die sorgfältige Dokumentation des Verkaufsprozesses. Verkäufer sollten den gesamten Verkaufsprozess lückenlos dokumentieren, insbesondere wenn es um die Bereitstellung von Informationen geht. Dies umfasst die Einstellung von Dokumenten in den Datenraum sowie die Kommunikation mit dem Käufer. Eine klare und nachweisbare Dokumentation kann im Streitfall dabei helfen, den eigenen Standpunkt zu untermauern und das Risiko von Haftungsansprüchen zu minimieren.

Fazit: Verkäufer müssen ihre Aufklärungspflichten ernst nehmen

Das Urteil zeigt deutlich, dass Verkäufer von Immobilien eine umfassende Aufklärungspflicht gegenüber dem Käufer haben. Insbesondere bei möglichen finanziellen Belastungen wie Sonderumlagen oder Sanierungsmaßnahmen müssen Verkäufer den Käufer ungefragt und umfassend informieren. Die Bereitstellung von Informationen in einem Datenraum kann dabei helfen, ersetzt aber nicht in jedem Fall eine aktive Aufklärung. Verkäufer sollten sicherstellen, dass alle relevanten Informationen klar und rechtzeitig kommuniziert werden, um rechtliche Risiken zu vermeiden.Eine sorgfältige Vorbereitung und Dokumentation des Verkaufsprozesses kann helfen, spätere rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Wie eine sorgfältige Vertragsgestaltung durch den Notar Risiken minimieren kann

Insbesondere in komplexen Transaktionen kann die notarielle Vertragsgestaltung beitragen, Unklarheiten und ggf. späteren Streit zu vermeiden. Natürlich läßt sich damit kein arglistiges Verhalten einer Vertragspartei ausschließen. Es können jedoch die relevanten Erklärungen beurkundet werden, was denjenigen, der etwas unterzuschummeln versucht, zwingt, Farbe zu bekennen.

So enthalten meine Vertragsmuster zu Wohnungs- und Teileigentumskaufverträgen zum Beispiel standardmäßig folgendes:

"Der Verkäufer erklärt, dass Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft über Sonderumlagen nicht gefasst worden sind, und ihm keine mit finanziellen Ausgaben verbundenen unerledigten Beschlüsse der Eigentümerversammlung bekannt sind und dass keine Wohngeldrückstände für das Kaufobjekt bestehen."

Wenn diese Aussage nicht zutrifft, muß der Verkäufer das dann offen legen, so daß der Vertragsentwurf entsprechend geändert werden kann. Folge ist, daß die Risiken, die aus offenen Beschlußlagen resultieren, auf dem Tisch liegen und von den Beteiligten erörtert werden können. Das Unterschummeln von Unterlagen, aus denen etwas anderes folgt, geht wegen der expliziten Aussage des Verkäufers dazu im Vertrag nicht. Mit einem solchen Vertragsbestandteil hätte der BGH-Fall nicht entstehen können.

Ihr
Tobias Scheidacker

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